am Müggelsee in Berlin

über Anja Schäfer


Aufgewachsen im Ruhrgebiet der Neunzehnhundertsiebziger Jahre stellt man im Turnverein fest, dass Anjas Körperbau zum Turnen eher ungeeignet ist. Im Ruderverein Rauxel hat sie bereits schwimmen gelernt, darf ab und zu die „Alten Herren“ steuern, so liegt es nahe, dass sie mit 9 Jahren selbst rudern lernt.

Das Training wird mehr, nach der Kinderruderzeit folgt das Juniorinnenrudern und erste nationale Erfolge stellen sich ein. Zwei Teilnahmen an Junioren-Weltmeisterschaften und diverse Titel auf Deutschen Junioren-Meisterschaften sind ein guter Start in den Leistungssport.

Anja hat sich in der Zwischenzeit auf das Riemenrudern spezialisiert. Die Bewegung liegt ihr mehr als das Skullen und außerdem hat das Riemerudern zwei große Vorteile. Vorteil 1: In Nationalmannschaften sind mehr Plätze zu vergeben, da es den Zweier ohne Steuerfrau, den Vierer mit Steuerfrau (bis 1988 rudern die Frauen noch den 4+) und Achter gibt. Vorteil 2 wiegt noch schwerer: Im Riemenrudern gibt es keinen Einer. Diese Bootsklasse mag sie überhaupt nicht, sie ist die geborene Teamplayerin.

In der sogenannten „offenen Klasse“ (Senior A) wird das Rudern nun noch professioneller. 1987 schafft sie im Westdeutschen Frauen-Achter die Qualifikation zur Weltmeisterschaft in Kopenhagen. Der Achter belegt den 5. Platz, angesichts der Vormachtstellungen des im Frauenrudern führenden Ostblocks, sehr beachtlich.

Bei den Olympischen Spielen 1988 belegt sie mit dem Frauen-Achter einen enttäuschenden 7. Platz. „Dabeisein ist alles“ war zwar nicht das Motto, mit dem Anja nach Seoul gereist ist, überwiegt aber die Erinnerung und die einzigartigen Erfahrungen rund um die Spiele und den Leistungssport.

Den Leistungssport hängt sie danach an den Nagel, erkennt, dass es noch ein Leben ohne und nach dem Sport geben muss und so beschließt sie, in der renommierten Ruderbootswerft Stämpfli in Zürich anzuheuern. Mit ihrer abgeschlossenen Schreinerlehre im Gepäck lernt sie nun die Welt des Bootsbaus kennen, sieht und lernt, wie die „Stradivari der Ruderboote“ gebaut wird. Anja ist jetzt 23.

Nach einer Kurzausbildung bei Stämpfli wechselt sie zu Werner Kahls Ruderwerkstatt nach Gießen. Dort arbeitet sie sich in die Welt der Ruderboote ein, alle Bauarten und Fabrikate gehen durch ihre Hände, Handwerk ist genau ihr Ding, doch dies ist nicht genug.

1993 macht sich Anja in Bochum selbständig, besucht nebenbei die Meisterschule für Bootsbau in Travemünde und macht 1994 die Meisterprüfung. Sie ist eine der ersten und nach wie vor wenigen Bootsbaumeisterinnen in Deutschland.

Das Geschäft boomt, fachgerechte Reparaturen sind gefragt, Anja nutzt die guten und langjährigen Kontakte in die Ruderszene. Im Jahr 2001 geht’s nach Österreich, dort eröffnet sie ihre Firma neu, etabliert sich auch dort in der wesentlich kleineren Ruderwelt Österreichs. Auch im etwas konservativeren Österreich steht erstens der Bootsbau nicht unbedingt auf der Tagesordnung, dass dies eine Frau macht, sorgt ebenfalls für Verwirrung.

Auch die Medien interessieren sich für die einzige Bootsbaumeisterin Österreichs. In ihrer kleinen Werft in Wien repariert sie in den Jahren von 2001 bis 2016 Ruderboote und andere Kleinboote, gelegentlich nimmt sie Aufträge für Neubauten an. Die bekannteste Kundin aus der Zeit ist das Wiener Burgtheater, das für eine Aufführung eine rollende venezianische Gondel in Originalgröße anfertigen lässt.

War der Werkstoff anfangs ausschließlich Holz, wandelt sich die Bootszene im Laufe der Jahrzehnte immer mehr, so dass Epoxidharz, Kevlar und Carbon die neuen Materialien sind. Das Wissen um die neuen Materialien und Techniken eignet sie sich durch Schulungen und Selbstcoaching an.

Zum Bootsbau kommen noch ergänzende Angebote hinzu, der rowing-shopWien entsteht und hat Ruderboote, Bootszubehör und Ruderbekleidung im Angebot. Außerdem veranstaltet Anja Seminare für Rudern und Bootsbau, gibt Rudertraining und Personal Training für Erwachsene.

Seit 2016 ist Anja in Berlin zuhause, liebt die Stadt mit seiner unvergleichlichen Wasserlandschaft und findet, dass es kein schöneres Ruderrevier gibt.

Ihr Wissen gibt sie in Seminaren gern an Interessierte weiter und berät Vereine und Bootseigner bei Reparaturen und anderen Fachfragen.